S. Röder: Kaiserliches Handeln im 3. Jahrhundert

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Titel
Kaiserliches Handeln im 3. Jahrhundert als situatives Gestalten. Studien zur Regierungspraxis und zu Funktionen der Herrschaftsrepräsentation des Gallienus


Autor(en)
Röder, Sophie
Reihe
Prismata
Erschienen
Berlin 2019: Peter Lang/Bern
Anzahl Seiten
402 S.
Preis
€ 77,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Körner, Historisches Institut, Universität Bern

In den letzten Jahrzehnten ist das 3. Jahrhundert n.Chr. verstärkt ins Interesse der Forschung gerückt. Neben dem gewaltigen Handbuch zur Soldatenkaiserzeit von 20081 ist auch eine Reihe von Monographien zu verschiedenen Kaisern und deren Politik erschienen. Die an der Universität Düsseldorf eingereichte Dissertation zu Gallienus von Sophie Röder reiht sich in diese Einzelstudien ein. Dem Problem, dass mit der Monographie von Geiger bereits eine umfassende Untersuchung zu diesem Herrscher aus jüngerer Zeit vorliegt2, versucht Röder dadurch auszuweichen, dass sie sich auf dessen Regierungspraxis und Repräsentation fokussiert. Besonderes Augenmerk legt die Autorin neben den literarischen Quellen3 auf die Münzprägung und Inschriften, geht es ihr doch um die Frage der Kommunikation des Kaisers mit der Bevölkerung. Entsprechend interessiert sie der Umgang mit den Christen, ferner die Maßnahmen, die für die Städte getroffen wurden. Des Weiteren stehen Heer, Senat und Ritterstand im Zentrum der Untersuchung.

Jede Arbeit zum 3. Jahrhundert ist zwangsläufig mit der Frage nach dem Krisenbegriff konfrontiert. Röder entscheidet sich hier für die Position, dass es auf verschiedenen Ebenen (Zentralgewalt und Wirtschaft) Krisen gegeben habe, die in ihrer Kumulation den Terminus „Krise und Transformation“ (S. 31) rechtfertigen würden. Ziel der Monographie ist es, die Reaktionen des Gallienus auf die Krisenphänomene zu untersuchen: Inwieweit knüpfte er an die Leistungen früherer Herrscher an, inwieweit trug seine Politik zur Lösung der krisenhaften Momente bei? Lassen sich Ansätze eines „Programm[s] der Politik“ (S. 15) erkennen oder sind Gallienus’ Maßnahmen eher als situative Reaktionen auf Probleme zu deuten? Damit soll auch sein Beitrag zur Transformation des Reichs bestimmt werden. Angesichts der Bedeutung, die Röder dem Transformationsbegriff für ihre gesamte Untersuchung gibt, hätte man sich hier allerdings eine ausführlichere Diskussion der Terminologie gewünscht.4

Den methodischen Ausgangspunkt bildet Fergus Millars Modell, demzufolge die römischen Kaiser in erster Linie reaktiv handelten, also ihre Maßnahmen bloße Antworten auf vorgetragene Anliegen der Bevölkerung waren. Dieser Ansatz wird von Röder durch die Einbeziehung neuerer Theorien (vor allem von Peter Eich und Sebastian Schmidt-Hofner) dahingehend modifiziert, dass die römischen Kaiser durchaus Akzente gesetzt hätten, was Röder als „Verdichtung gestaltenden Reagierens“ bezeichnet (S. 45). Der in diesem Zusammenhang in der Arbeit häufig verwendete Begriff der „Programmatik“ wäre klarer zu definieren gewesen. Ist der Begriff überhaupt für antike Verhältnisse angemessen? Und falls ja, wie lässt sich ein solcher angesichts der notorischen Quellenproblematik des 3. Jahrhunderts rekonstruieren? Die Autorin versucht, aus der „Intensität“ bestimmter Maßnahmen auf eine dahinterstehende „Programmatik“ zu schließen (so etwa S. 19), was jedoch methodisch näher auszuführen wäre.

Sorgfältig analysiert Röder Gallienus’ Münzprägung im Hinblick auf eine mögliche Selbstdarstellung und Herrscherrepräsentation. Die für die römische Kaiserzeit erstaunlich zahlreichen conservatores -Prägungen und Darstellungen von Gottheiten sieht sie als Versuch, den Schutz der Götter für Kaiser und Heer zu beschwören. Die Prägungen mit Personifizierungen wie Salus, Felicitas, Pax und Securitas nehmen ebenfalls einen großen Raum ein. Die rätselhafte Prägung Gallienae Augustae, die den Kaiser mit einem Ährenkranz auf dem Kopf zeigt, deutet Röder nicht wie Andreas Alföldi als Demeter-Darstellung, sondern als Prägung für die legio III Augusta, die in der kornreichen Provinz Numidia stationiert war; der Ährenkranz sei möglicherweise als Anspielung auf den in Nordafrika verehrten Saturn zu interpretieren. Röder sieht hier eine „Selbstidentifikation Galliens mit Saturn als custos ruris und als Symbol des Goldenen Zeitalters“ (S. 134).

Die Untersuchung von Gallienus’ Herrschaftspraxis beginnt mit einer sehr ausführlichen Analyse der „Christenpolitik“ unter Valerian und Gallienus, die mehr als ein Viertel des gesamten Werks ausmacht (S. 139–239). Zunächst zeigt Röder auf, dass für Valerian nicht von einer systematischen Christenverfolgung gesprochen werden kann. Ihre sorgfältige Untersuchung von Gallienus’ Edikt verdeutlicht, dass dieser lediglich das Versammlungsverbot für Christen wieder aufhob, keinesfalls aber eine Art „Toleranzedikt“ avant la lettre erließ. Der Autorin zufolge reagierte der Kaiser damit auf Unruhen und Spannungen und war bereit, dafür auf eine Kulteinheit zu verzichten, wie sie noch Decius und möglicherweise auch Valerian erwartet hatten. Da in Röders Interpretation die Zielsetzung Valerians und Gallienus’ letztlich identisch war (nämlich das Erreichen einer Stabilisierung der inneren Ordnung) und lediglich ihre Maßnahmen sich unterschieden, geht sie von einer Kontinuität in der „Christenpolitik“ der beiden Herrscher aus. In ihre umfangreiche Untersuchung der Maßnahmen für Städte reiht Röder auch Gallienus’ Aufenthalt in Athen ein. Diesen möchte sie eher mit der Bedrohungslage durch Einfälle erklären, denn als Ausdruck des kaiserlichen Philhellenismus.

Schließlich befasst Röder sich mit möglichen Reformen des Heereswesens durch Gallienus. In der Frage nach der Existenz eines Edikts, auf dessen Grundlage die Senatoren zunehmend durch Ritter ersetzt worden seien, vertritt Röder die heutige communis opinio, der zufolge es keinen kaiserlichen Erlass gab. Vielmehr besetzte Gallienus frei werdende Positionen nach und nach mit Rittern, reagierte also einmal mehr situativ. Zum gleichen Befund führt die sorgfältige Analyse der Frage, inwieweit Gallienus eine Reitertruppe als mobile Einsatzarmee neu einrichtete.

Röder kommt zu dem Schluss, dass für Gallienus nicht von einer „langfristigen Programmatik“ (S. 346) auszugehen ist, sondern der Kaiser pragmatisch auf Situationen reagierte, um seine Herrschaft zu stabilisieren. Etwas unklarer bleibt die Untersuchung in der Frage nach Gallienus’ Beitrag zur „Transformation“ des Reiches: Röder postuliert zwar einen solchen Beitrag (S. 349), liefert aber kaum stichhaltige Belege, was neben der desolaten Quellenlage auch mit dem Fehlen einer klaren Begrifflichkeit von „Transformation“ zu erklären sein dürfte.

Insgesamt hat Röder eine sehr sorgfältige und nachvollziehbare Auswertung der Quellen vorgelegt und ihre Resultate und Argumente auf diese Weise überzeugend begründet. Damit hat sie eine gute Arbeitsgrundlage für künftige Studien zum 3. Jahrhundert gelegt.

Anmerkungen:
1 Klaus-Peter Johne / Udo Hartmann / Thomas Gerhardt (Hrsg.), Die Zeit der Soldatenkaiser. Krise und Transformation des Römischen Reiches im 3. Jahrhundert n.Chr. (235–284), 2 Bde., Berlin 2008.
2 Michael Geiger, Gallienus, Frankfurt am Main 2013. Als Standardwerk zu Gallienus kann zudem immer noch die Monographie von Lukas de Blois gelten: The Policy of the Emperor Gallienus, Leiden 1976.
3 Das Ausschließen bestimmter Quellen a priori (explizit S. 22 mit Anm. 20) wie der Epitome de Caesaribus, der Werke des Eutrop, Festus, Iordanes und vor allem des zeitgenössischen 13. Buches der Oracula Sibyllina erscheint aufgrund der Quellenarmut für das 3. Jahrhundert methodisch wenig sinnvoll.
4 Vgl. dazu Christian Körner, Transformationsprozesse im Römischen Reich des 3. Jahrhunderts n.Chr., in: Millennium 8 (2011), S. 87–123, hier S. 95–97.

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